Nachbetrachtung: Hamburg Calling

Hamburg Calling – Eine Liebeserklärung der anderen Art

von Lisa Jeske

Tiefe rote Sessel, Popcorn in der einen Hand, eine kalte Cola in der anderen. Das Licht wird langsam abgedimmt, der große schwere Vorhang öffnet sich und ein Film beginnt. Der Ort? Natürlich… Ein Kino. Doch auch wenn es zuerst so klingen mag, dies wird keine gewöhnliche Filmvorführung werden. Denn als sich am Dienstag, den 19. Juni die Tore des Cineplex Paderborns öffneten, war einiges etwas ungewöhnlicher als sonst. So viele musikinteressierte Menschen und auch Musiker in einem Raum erwartet man sonst eher bei einem Konzert. Und wieso schaut man sich den Film, der gerade mal nicht aus der Traumfabrik Hollywood stammt und auch nicht erst gestern veröffentlicht wurde, nun im Kino an?

Die Veranstaltung, welche den Titel Hamburg Calling trug bot weit mehr. Die studentische Initiative Programmkino Lichtblick e.V., unterstützt und betreut durch Prof. Dr. Anette Brauerhoch präsentierte in Kooperation mit der Veranstaltungsreihe Performing Pop des Studienganges populäre Musik und Medien der Universität Paderborn (unter Anleitung von Prof. Dr. Christoph Jacke sowie Carsten Nolte) und dem Cineplex Paderborn einen „Kinoabend“ der besonderen Art. Neben dem gezeigten Film, Hamburg Calling, welcher ein so liebevolles und facettenreiches Portrait des musikalischen Lebens der Elbmetropole zeichnet, fand ebenso im Anschluss mit für den Film bedeutenden Gästen wie u.a. dem Regisseur Oliver Schwabe oder Tobias Levin, eine Podiumsdiskussion über die Wurzeln einer deutschen Musikbewegung statt. Undals Höhepunkt des Abends sollten die Besucher vor allem auch dem angekündigten Unplugged Konzert des Musikers Kristof Schreuf entgegen fiebern.

Während der Film auf der einen Seite die Bedeutung Hamburgs für die Beatles und andere internationale Rockbands beleuchtet, wirft der Regisseur Oliver Schwabe aber ebenso einen großen Fokus auf die regionale Musikszene zwischen Punk, Hamburger Schule, Schlager und Hip Hop. Die ständige Gegenwart von Musik ließen die Musik- und Jugendkultur in Hamburg nur so blühen. Schwabe, welcher sich in seinen dokumentarischen Filmarbeiten bisher schon des Öfteren mit Popmusikszenen befasste, mischte für den Film Ausschnitte aus Berichten, Filmen und Reportagen um so den Zuschauern ein ganz neues Bild und andere Perspektiven der Hamburger Musikszene zu zeigen.

Richtig spannend wurde es nach dem Film mit der Podiumsdiskussion zwischen Regisseur Oliver Schwabe und den zwei im Film auch zu Wort gekommenen Musikern Kristof Schreuf sowie Tobias Levin, welcher auch als Produzent tätig ist.  Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wurden vorbereitete Themen sowie Fragen aus dem Publikum gestellte Fragen besprochen und beantwortet. Und einmal warm geredet, waren vor allem Levin und Schreuf fast nicht mehr zu stoppen. Und so dauerte es nicht all zu lange, da lehnte sich selbst Schwabe zurück, genoss selber das Reden und die Geschichten der anderen beiden, welche irgendwann weg vom eigentlichen Thema – der Hamburger Musikszene bzw. der Hamburger Schule bei ihrer eigenen musikalischen Sozialisation durch Rock n Roll gelandet waren. Und als die Diskussion keine Diskussion sondern ein Aufschaukeln und Erzählen persönlicher Erinnerungen war, die imaginäre Trennung zwischen Zuschauer und „Stars“ dieser Veranstaltung aufgehoben schien, da konnten selbst die Besucher in der letzten Reihe diese Liebe zur Hamburger Musikszene, welche den ganzen Raum einzunehmen schien, nicht mehr nur hören sondern gewiss auch fühlen.

Hatten sie sich so sehr in diesem Gespräch über Musik, Hamburg und das Leben ausgepowert und über alte Zeiten geplaudert, fehlten dann Kristof Schreuf bei seinem Konzert fast die Worte zu den Tönen. Im Gegenzug fehlte im Publikum bei der Musik Schreufs, einer Mischung aus eigenen Liedern und Songzitaten bzw. Cover, „der Riss in der Wand“. Kritik muss beziehungsweise sollte man jedoch als Sänger einstecken können, darf es auch auf die Länge der Veranstaltung schieben, welche sich nicht nur durch die Podiumsdiskussion mehr als beabsichtigt ausgedehnt hatte. Wenn es doch aber so viel Interessantes zu berichten gibt und auch das Publikum so in den Bann der Gäste gerissen ist, die man bestimmt nicht alle Tage trifft?! Ein einziger Lichtkegel auf Schreuf gerichtet, alleine vor der Leinwand mit seiner Gitarre,singt, redet aber auch gerne und bringt die Leute zum Lachen und thematisiert seine leichte Unsicherheit. Oder alles nur Show? Solch ein Unplugged Konzert im Kinosaal jedenfalls, das findet man nicht alle Tage! Viele Leute ließen sich ja schließlich auch noch auf das Konzert ein und blieben bis zur letzten Minute, als die Kino Tore schon wieder fast schlossen und die Besitzer schon warnten, man käme gleich schon nicht mehr aus dem Gebäude heraus. Wer weiß, wie lange sich dieser Abend sonst noch zwischen roten Sesseln, Sälen und Dämmerbeleuchtung ausgedehnt hätte. Zu verdanken war dies eben neben dem Film auch der spanenden Diskussion und dem Konzert, welches diesen Abend so unterhaltend und dennoch entspannt ausklingen ließ. Und wo sonst hat man schon die Gelegenheit, Regisseur und Darsteller so nah, authentisch und ehrlich zu erleben.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong> <font color="" face="" size=""> <span style="">